Vor fünfundzwanzig Jahren hätte mein erstes Theaterstück Premiere haben sollen. Es war ein Musical für Kinder, eine Mischung aus „Tabaluga“ und Grips Theater. Doch es kam nicht dazu, denn gegen uns wurde ein Spielverbot verhängt. Ein Spielverbot für ein Kindermusical? Ja, so war das damals in der DDR … (ein Gastbeitrag von Rainer Schneider)
Die Leute, die in meiner Theatergruppe mitmachten, waren um die zwanzig, wir waren auf der Suche nach der berühmten Nische, in der man uns leben ließ. Denn obwohl wir noch so jung waren, hatten wir alle schon unsere Erfahrungen mit der Staatsgewalt gemacht. Ich kannte junge Eltern, die mit Entsetzen erlebten, wie ihr Nachwuchs in den Kindergärten auf Linientreue getrimmt wurde. Das war der Grund, weshalb wir ein anderes Theater machen wollten. Bei uns sollten Kinder die Möglichkeit haben, Vielfalt, Fantasie und Toleranz zu entdecken. Auch deshalb bekamen wir das Spielverbot.
Wer nun meint, da hätte die Stasi dran gedreht, den muss ich enttäuschen. Das Verbot kam von der FDJ, der Jugendorganisation der SED. Weder mit dem Theater noch mit den verbogenen Lebensläufen der Theatermacher hatte die Stasi, zumindest in der Form, wie sie seit einem Vierteljahrhundert dargestellt wird, etwas zu tun.
Denn lange bevor jemand mit der Mielke-Truppe in Berührung kommen konnte, taten die „Partner des politisch-operativen Zusammenwirkens“ ihr Möglichstes, Leute wie uns aus dem Verkehr zu ziehen. In der Regel, weil wir an einem bestimmten Punkt unseres Lebens das Falsche gedacht und dummerweise auch gesagt hatten.
Ich war vierzehn, als man mir anbot, ich könne das Abitur ablegen, sofern ich mich für mindestens drei Jahre zum Dienst bei der Nationalen Volksarmee verpflichte. Ich habe damals gesagt, dass ich es vorzöge, überhaupt nicht zur Armee zu gehen.
Was immer ich danach versuchte, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Egal, ob es sich um Qualifizierungen handelte oder um Bewerbungen auf bestimmte Jobs. Allenfalls raunte man mir zu: „Mit deiner Kaderakte stimmt was nicht.“
Diese Kaderakten, die man heute gern als Personalakten bagatellisiert, enthielten ein geheimes Dossier, in dem unter anderem festgelegt war, welchen Beruf jemand ergreifen durfte, wer wo beschäftigt werden konnte und so weiter. Jeder DDR-Bürger hatte so eine. Auf diese Weise wurden lebenslange Berufsverbote durchgesetzt, ohne, dass die Betroffenen auch nur ahnten, wie ihnen geschah.
Ich schlängelte mich so durch, suchte die Lücke, durch die ich passte. Hatte ich sie gefunden, stopfte man sie, und sei es, dass man groteske Gründe für ein Spielverbot erfand. Es ging darum, Leute zu zermürben und sozial zu isolieren – und das Anlegen einer Stasiakte überflüssig zu machen.
Als ich nach der Wende ein ziemlich hartes Auswahlverfahren einer Personalberatung überstand, die im Auftrag des amerikanischen Filmstudios „Columbia Tristar“ (heute SonyPictures) Drehbuchautoren suchte, war ich mehr als verblüfft. Schließlich hatte ich in langen DDR-Jahren und deren Nachspiel in den 90ern gelernt, was ich angeblich alles nicht konnte. Und plötzlich schrieb ich für Millionenerfolge wie „Nikola“ und „Ritas Welt“. Das war so absurd, dass ich begann, mich dafür zu interessieren, was in der DDR tatsächlich in meinem Leben und in den Leben meiner Wegbegleiter passiert ist.
Ich habe mich durch Akten und Bücher gewühlt, Interviews mit Zeitzeugen und Historikern geführt und Behörden wie die BStU zu diesem Thema befragt. So entstand das Projekt „Lebenswege.“
Aktion: nur 99 Cent statt 4,99 €
Karin. Glück ohne Ende.
DDR-Lebensschicksal von Rainer Schneider
Ostberlin, 1984. Karin ist sechzehn und zählt die Jahre bis zur Rente. Sie trinkt und raucht und hat ansonsten keine Pläne …
Da lernt Karin den selbstbewussten Martin kennen und lieben – Martin will in den Westen flüchten. Der Fluchtversuch misslingt – Karin wird gefangen genommen und erwartet im Knast das gemeinsame Kind. Als die Mauer fällt, steht Karin mit ihrer Tochter ganz allein da … und die Vergangenheit holt sie immer wieder ein. Bewegendes Schicksal! „Interessant und mitreißend.“ (Leserin) (ca. 275 Seiten) – noch günstig?
Die Romane erzählen von jenen anderen DDR-Biografien, die scheinbar unbeeinflusst von Stasi und Staatsmacht verlaufen sind. Jeder Lebensweg spiegelt einen anderen Aspekt der DDR und rekonstruiert die Methoden, die damals angewandt wurden. Wie war es, in der DDR einen selbstbestimmten Weg zu gehen? Wie war es um die soziale Mobilität bestellt? Wie erging es Leuten, die eine Band gründen wollten? Das alles ist eingewoben in teils komische, teils tragische Geschichten, die mitten im Leben spielen.
Den zweiten Teil des Projektes „Karin. Glück ohne Ende.“ gibt es ab heute für kurze Zeit zum Preis von 99 Cent!
PS: Das Kindermusical erlebte nach der Wende weit über 120 Aufführungen.